Seyran Ates Lebensweg nötigt Respekt ab. Ihr Emanzipationsversuch, dem Würgegriff des in türkischen Familien traditionellen Patriarchats zu entrinnen, war ein gefährliches Unterfangen. Die Autorin, mit sechs Jahren von ihren türkischen Eltern nach Berlin geholt und heute dort als Anwältin und Frauenrechtlerin aktiv, zieht eine oft bedrückende, aber beeindruckende Bilanz eines kulturübergreifenden Lebens. Bereits im Familienstammbaum fand die Autorin ihr Thema dokumentiert: die Entfremdung ethnischer Kulturen und die Unterdrückung der Frau in einer männerdominierten Welt. Symbolfiguren dieser Haltung waren Seyrans Großväter, zwei Superpatriarchen kurdischer und türkischer Herkunft und Grund ständiger familiärer Konflikte. Bei aller Feindseligkeit jedoch bedeutete vordergründig der Familienzusammenhalt alles. Jeder Anflug von Individualismus wurde rigoros geahndet. So auch die vom Großvater verdammte Entscheidung von Seyrans Mutter, ihrem Mann 1965 ins Gastarbeiter-Eldorado Deutschland zu folgen. Man nahm die heimische Kultur mit. Die Folge: Das Dasein der siebenköpfigen Familie in Berlin-Wedding geriet für Seyran zu einem Gefängnisaufenthalt. Bruder Kemal, von den meist abwesenden Eltern zum Familienoberhaupt gekürt, erwies sich dabei als ärgster Quälgeist. Seine Schläge und Unterdrückungsmethoden ließen bereits in der Zehnjährigen den Wunsch aufkeimen, sich aus ihrer Knechtschaft zu befreien. Die Schule bot Gelegenheit. Seyran wurde Schulsprecherin, verschmähte den für sie vorgesehenen Ehemann, löste sich von ihrer Familie, schlüpfte in besetzten Häusern und WGs unter -- und fand in der Berliner Frauenszene eine neue geistige Heimat. Die Loslösung aus den tradierten Mustern ihres alten Kulturkreises geriet durchaus zum schmerzlichen Prozess, wie das missglückte Attentat eines Mitglieds der "Grauen Wölfe" zeigt, das die Autorin schwer verletzt überlebte. Nicht gerade zimperlich geht sie auch mit ihren feministischen deutschen Schwestern ins Gericht, denen sie -- ihr verdächtig vertraute -- autoritäre und ignorante Denkstrukturen gegenüber Ausländern nachweist. Nachdenkenswertes zum Thema Islam, Koranauslegung sowie dem umstrittenen "Kopftucherlass" machen Seyran Ates Buch zum idealen Vermittler zweier Kulturen. Sie selbst erlebt ihre "Bikulturalität" längst als Bereicherung und nicht als "latente Schizophrenie". Nachfolger gesucht! --Ravi Unger Quelle:
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