Im 15. Jahrhundert verließ eine gewaltige Armada das chinesische Festland, Hunderte von Schiffen, zehnmal so groß wie Kolumbus’ Santa Maria, an Bord eine Streitmacht von 20.000 Soldaten. Die Flotte segelte bis zur afrikanischen Küste – und machte kehrt. Danach wurde in China die Seefahrt verboten, die Pläne der Schiffe vernichtet. Das Land beschloss, sich um den Rest der Welt nicht zu kümmern -- „die erstaunlichste Entscheidung in der chinesischen Geschichte“, wie der China-Kenner und Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt sagt. China war „drauf und dran eine Welt-Seemacht zu werden“ -- und wählte die Isolation. Eine Entscheidung, ohne die es die koloniale Expansion nach Osten vielleicht nicht gegeben hätte. Ebenso wenig wie den Niedergang des Reichs der Mitte, das im 19. Jahrhundert am westlichen Kolonialismus zerbrach. Nun ist China wieder da, und die Welt versucht zur verstehen, was sich dort ereignet. Deshalb sind Bücher über China gefragt. Doch das Buch Nachbar China ist etwas Besonderes. Es basiert auf tagelangen Gesprächen, die Frank Sieren, China-Korrespondent der Wirtschaftswoche und einer der „führenden deutschen China-Spezialisten“, so die London Times, mit dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt geführt hat. Sorgsam editiert füllen diese Gespräche mehr als 300 Seiten -- eine wahre Fundgrube an Wissen über das Riesenreich im Osten, und zudem Zeitgeschichte aus Erster Hand. Denn Helmut Schmidt pflegt seit mehr als dreißig Jahren einen engen Meinungsaustausch mit der Führung in Peking. 1975 hat er Mao Zedong persönlich kennen gelernt, sich später mit Deng Xiaoping zu einem persönlichen Gespräch getroffen, und mit dem ehemaligen Premierminister Zhu Rongij verbindet ihn eine tiefe Freundschaft. Mit diesem Buch will Schmidt dazu beitragen, dass „der leichtfertigen moralischen und politischen Besserwisserei der Boden entzogen wird“. Und er will mit dem Vorurteil aufräumen, dass China an den heutigen ökonomischen und sozialen Problemen Westeuropas schuld sei: „Der dem europäischen Publikum immer wieder erweckte Eindruck, weil China neuerdings Mitglied des globalen Weltmarkts geworden sei, gefährde es unsere Arbeitsplätze und unseren Wohlstand, ist falsch.“ Das Buch ist eine eindringliche Mahnung, sich mit „unserem neuen großen Nachbarn“ zu beschäftigen: China verstehen, darum geht es. Schmidt und Sieren fordern „Respekt vor China“ und seiner dreitausend Jahre alten Tradition. Einer Tradition, ohne die sich die heutige wirtschaftliche Expansion des Riesenreiches ebenso wenig begreifen lässt, wie sein Verzicht auf den Aufstieg zur Weltmacht im 15. Jahrhundert. -- Winfried Kretschmer Quelle:
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