Was gibt es Besseres beim Lesen, als einer literarischen Figur ganz nah zu sein? In ihre Haut zu schlĂŒpfen, sie ganz und gar zu verstehen; das denken, was sie denkt, das fĂŒhlen, was sie fĂŒhlt. Eins werden mit der Person. Arthur Schnitzler war einer der ersten, denen mit der Technik des inneren Monologs genau dies gelang. Zuerst in Leutnant Gustl 1900, dann in FrĂ€ulein Else 1924. Zwei sehr unterschiedliche Figuren werden hier dargestellt, mit zwei völlig verschiedenen Lebens- und GefĂŒhlswelten. Der junge Offizier, der von einem nicht satisfaktionsfĂ€higen BĂ€ckermeister beleidigt wird und sich deshalb, obwohl niemand den Vorfall mitbekommen hat, nach dem Ehrenkodex der Armee erschieĂen mĂŒĂte, durchleidet eine Nacht der Todesangst -- bis er morgens erfĂ€hrt, daĂ jener BĂ€ckermeister einem Schlaganfall erlegen ist. Dann die junge Anwaltstochter Else, die von ihrer Mutter gebeten wird, den Vater aus einer Schuldenmisere zu befreien und einen befreundeten KunsthĂ€ndler um das Geld zu bitten; als dieser seine finanzielle Hilfe aber unter die Bedingung stellt, Else nackt sehen zu dĂŒrfen, verzweifelt sie an den moralischen Konflikten, entblöĂt sich im Musikzimmer des Hotels und nimmt eine Ăberdosis Veronal. Das Lesen der beiden Novellen ist wie ein Sog. Man wird immer weiter hineingezogen in die SeelenzustĂ€nde von Gustl und Else, in ihre Verwirrung, Assoziationen, Erinnerungen. Und man leidet mit ihnen in diesen extremen Grenzsituationen. Am Ende findet man nur schwer zurĂŒck in die eigene Welt. Denn das Ich der Personen macht Schnitzler so erlebbar und plastisch, wie kaum ein anderer deutschsprachiger ErzĂ€hler dies vermochte. --Lilli Belek Quelle:
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