Der Tod des eigenen Kindes ist sicher das schlimmste Unglück für Eltern. Wenn dieser Tod auch noch durch einen Akt der Gewalt herbeigeführt wurde, tritt zu dem Gefühl der Trauer auch noch Zorn, Rache und Haß. Die norwegische Autorin Karin Fossum wurde für diesen ersten Roman Fremde Blicke mit dem Rivertonpreis ausgezeichnet. Darin beschreibt sie mit viel psychologischem Einfühlungsvermögen die Geschichte eines Mordes an der 15jährigen Annie Holland, die von dem mongoloiden Jungen Raymond nackt und ohne Verletzungen an einem Weiher gefunden wird. Fossum webt ein dichtes Beziehungsgeflecht um die hübsche, sportliche und hilfsbereite Annie, die in dem kleinen Ort Horgen in der norwegischen Fjordlanschaft sehr beliebt war. Die Ermittlungen Konrad Sejers führen ihn zu einem immer komplexer werdenden Bild eines jungen Mädchens, das sich durch einen zunächst unerklärlichen Vorfall vollständig in ihrer Persönlichkeit verändert hat. Der Kontrast zwischen Annie und ihrer gefallsüchtigen Schwester verwischt sich immer mehr. Annie Holland war trotz ihrer etwas ruppigen Art mit dem 18jährigen Halvor befreundet. Auch er konnte sich ihren plötzlichen Austritt aus der Handballmannschaft und ihre Insichgekehrtheit nicht erklären. Einen der Schlüssel zu Annies Geheimnis hält er aber mit einer gesicherten Datei Annies auf seinem Rechner in der Hand. Doch er kennt das Paßwort nicht. Die Autorin vermag es, den Leser auf den Prüfstand zu stellen und ihm mehrere Verdächtige zu präsentieren. War es der mongoloide Raymond, der Kinder mag? Oder aber ihr eigener Freund, der sie getötet hat? Der Kriminalroman eilt von einer Wendung zur nächsten, wobei so manch grausige Wahrheit aus der Vergangenheit ans Tageslicht des kleinen Ortes kommt. Fossums Talent ist ihr psychologisches Geschick, Charaktere glaubhaft zu präsentieren und Spannung zu erzeugen. Einzig Annies unheilbare Krankheit, die keiner bemerkt haben will, wirkt zu weit hergeholt. --Corinna S. Heyn Quelle:
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