Jedes Jahr gibt das Statistische Bundesamt in Wiesbaden die Scheidungsraten bekannt. Nach einem steten Anstieg der Zahlen in den letzten Jahrzehnten hat sich die Scheidungsrate in den letzten vier Jahren bei 44-46 Prozent eingependelt. Sozialwissenschaftler sprechen einerseits vom Zerfall der Familie, andererseits seien jedoch auch gegenläufige Trends beobachtet worden. So berichtet das MPI in Berlin von der Tendenz einer bewussteren Entscheidung für die Familie. Unabhängig von Statistiken und Trends ist jedoch eines klar: In vielen Partnerschaften und Familien gibt es zahlreiche Konfliktpunkte, so etwa in den Bereichen Haushalt, Erziehung, aber auch im Bezug auf die jeweiligen Lebensentwürfe. Nicht selten münden diese in unterschwellige und offene Auseinandersetzungen. Die Leidtragenden sind häufig die Kinder. Der Verlust eines Elternteils führt bei vielen Kindern zu seelischen Auffälligkeiten mit Behandlungswert, u. a. zu Verhaltensproblemen, Depressionen, Aggressionen und geringem Selbstwertgefühl. Die Gefahr dafür wird noch einmal größer, wenn sich die Kinder anschließend auch noch im Dschungel neuer Partnerschaften der Eltern zurechtfinden müssen. Mit dem Lehrbuch Paar- und Familientherapie liegt nun erstmals ein umfassendes Werk zum Thema vor. Zahlreiche Autoren haben ihr Wissen zum systemischen Arbeiten mit Familien und Paaren übersichtlich und praxisbezogen zusammengetragen. Besonders verdienstvoll ist dabei der Ansatz der Herausgeber, unterschiedliche Schulen (psychoanalytisch, verhaltenstherapeutisch, systemisch) mit den jeweiligen therapeutischen Eigenheiten neben- und miteinander darzustellen. Nach einer ausführlichen Darstellung der Grundlagen und Methoden paar- und familientherapeutischen Vorgehens werden eine Reihe von Störungsbildern detailliert besprochen, so etwa Angst und Depression, somatoforme Störungen, Essstörungen, Suchterkrankungen und chronische Krankheiten. Außerdem werden den unterschiedlichen institutionellen -- Praxen, Beratungsstellen, stationäre Behandlungen -- sowie kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten eigene Kapitel gewidmet. Bei systemisch arbeitenden Kollegen wird sich dieses 700 Seiten starke Werk sicherlich als Standardlehrbuch etablieren. Aber auch bei anders ausgerichteten Lesern kann das Buch Neugier auf systemisches Arbeiten wecken. Hinweise zur Ausbildung zum Paar- und Familientherapeuten werden in einem der letzten Kapitel gegeben. Hier wird auch der bisher erfolglose Kampf der systemischen Therapie um Anerkennung als psychotherapeutisches Verfahren im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie dokumentiert. Dennoch macht das Buch auch Therapeuten im Einzelsetting Mut, vermehrt die Partner und Familien der Patienten in die Therapie einzubeziehen. --Katja Beesdo Quelle:
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