"Da ist jedes Stück so fremd, so anders, so heterogen, dass man gar nicht weiß, wo es langgeht", so beschreibt der Kunsthistoriker Dieter Daniels sein Gefühl beim Durchblättern eines Duchamp-Katalogs. Folgen doch in dem zwischen 1903 und 1966 entstandenen Werk Marcel Duchamps Bewegungsstudien, Ready-mades, Ölglasbilder, optische Apparate, surrealistische Rauminstallationen und erotische Gipsobjekte aufeinander, ohne dass auf den ersten Blick ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Arbeiten zu erkennen wäre. Gerade diese Vielfalt der Ideen ist es aber, die Duchamp zu einem der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts machte, und die seine Rolle als Vorbild und Bezugspunkt für die nachfolgende Künstlergeneration begründete. Den Unterbau für sein Werk, so der Duchamp-Experte Jacques Caumont, bildete Duchamps Alltag. Dies berücksichtigend findet sich im vorliegenden Band, neben den rund 50 ganzseitig abgebildeten Arbeiten, die jeweils durch Interviewzitate und Äußerungen des Künstlers selbst erklärt werden, eine reich illustrierte Chronologie des Pariser Malers, New Yorker Avantgardisten, Bibliothekars und Schachspielers Duchamp. Dessen folgenreichste und am häufigsten diskutierten Werke sind sicher die Ready-mades. Industriell hergestellte Alltagsprodukte, die nur durch die Wahl des Künstlers zum Kunstwerk erhoben werden. Rund 20 hat Duchamp kreiert, darunter das auf den Kopf gestellte Pissoir, das er 1917 bei der New Yorker Ausstellung der Indépendants unter Pseudonym einreichte, und das viel Aufsehen erregte. Zur Entstehung und Bedeutung der Ready-mades äußerte sich der 80-jährige Duchamp im Juni 1967 in einem Interview, ein Jahr vor seinem Tod. Es ist in dem ausführlichen Textteil zusammen mit anderen kenntnisreichen Essays abgedruckt, in denen beispielsweise der Einfluss Duchamps auf die Kunst der 60er-Jahre und speziell auf den Künstler Jean Tinguely erläutert wird oder Duchamps Spiel mit dem Unterschied der Geschlechter und die Bedeutung seiner Wortspiele. Ein wunderbarer und inhaltsreicher Band, der neben den in Farbe abgebildeten Werken auch zahlreiche Schwarz-weiß-Fotografien von Duchamp und seinen Arbeiten enthält. Er ermöglicht einen Zugang zum Werk dieses "originellsten Geistes des 20. Jahrhunderts", wie ihn der Schriftsteller André Breton einmal bezeichnete und stellt den Menschen Marcel Duchamp vor, dessen Auffassung es war, dass ein Künstler egal was benutzen konnte, um das auszudrücken, was er sagen wollte. --Britta Müller Quelle:
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