"Die LĂŒcken waren nun fast alle gefĂŒllt. Mittlerweile konnten sie die Geschichte des MĂ€dchens von dem Augenblick an rekonstruieren, wo es seine Mutter in Nizza verlassen hatte, bis zu jener Nacht, in der es Jeanine im 'RomĂ©o' wiedersah. // "Kommst du, Janvier?" // Es gab nur eine LĂŒcke von zwei Stunden in ihrer letzten Nacht." (S.164) Mein Gott, hat der Mann Zeit! Liest man die Krimis der 90er Jahre, hat man das GefĂŒhl, Tempo und Schockeffekte wĂ€ren die einzigen Möglichkeiten, Spannung zu erzeugen. Maigret und die junge Tote beweist das Gegenteil -- der Roman kommt völlig ohne plötzliche Wendungen aus, ohne stilistische BrĂŒche oder Wechsel des Blickwinkels. Alles wird aus der Sicht des auktorialen ErzĂ€hlers geschildert, der Maigret begleitet. Wir folgen dem Kommissar bei seinen Ermittlungen, bewundern seine GrĂŒndlichkeit, passen uns seiner GemĂ€chlichkeit an. Langweilig? Keine Spur. Simenon schildert in klassischer police procedural-Manier das Ende eines Falls und den Beginn eines neuen. Die Leiche einer jungen Frau wird entdeckt, Maigret eher zufĂ€llig hinzugezogen, und peu Ă peu rekonstruiert er das Leben des Opfers. Bar jeder AuĂergewönlichkeit wird es vor unseren Augen zusammengesetzt, nicht immer in chronologischer Reihenfolge, sondern eben so, wie Maigret die Puzzleteile aufstöbert und zusammensetzt. Und trotz dieser geradezu tragischen Schlichtheit hĂ€lt einen diese Geschichte gepackt & gefesselt, als ob unablĂ€ssig die unglaublichsten Ăberraschungen geboten wĂŒrden. Ein ganz offensichtlich unspektakulĂ€res Buch also; wobei ich mir wĂŒnschen wĂŒrde, noch öfter auf solch gleichmĂ€Ăig faszinierende Romane zu stoĂen. Zwei Bemerkungen noch zum Schluss. Ein dickes Lob an Ăbersetzer und Lekorat: Auch wenn mein Französisch nicht ausreicht, um die Simenon-Texte en dĂ©tail zu beurteilen, kann ich nur die flĂŒssig lesbaren & sauber redigierten Texte der Neuausgabe loben. Und: Mit ihren knapp 200 Seiten, der uniformen Ausstattung und dem verschwenderisch schönen Satz habe ich das GefĂŒhl, es hier mit der Edelversion des Heftromans zu tun zu haben: Es gibt steten Nachschub in gleichbleibender Form, Nachschub in feinen Taschenausgaben. --Hannes Riffel Quelle:
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