Unter der steinernen BrĂŒcke von Prag steht ein Rosenstrauch. Nachts, wenn seine BlĂŒten sich an den Rosmarin schmiegen, trĂ€umt Kaiser Rudolf II. im Hradschin von Esther, der jungen Frau des Juden Meisl. Erst als der legendĂ€re Rabbi Loew den Rosmarin ausgrĂ€bt und in die Moldau wirft, ist der Ehebruchsfluch von beiden genommen und die Stadt von der Pest befreit. "In dieser Nacht starb in ihrem Haus auf dem Brunnenplatz die schöne Esther", heiĂt es in Nachts unter der steinernen BrĂŒcke (1953), dem wundervollen, zur Zeit des Holocaust im israelischen Exil verfassten Hauptwerk des Pragerdeutschen Leo Perutz (1882-1957): "In dieser Nacht fuhr auf seiner Burg zu Prag der Kaiser des Römischen Reiches, Rudolf II., mit einem Schrei aus seinem Traum". Im Roman ist die KarlsbrĂŒcke jenes steinerne Monument, unter dem sich die Schicksale kreuzen. Eigentlicher Held des Buchs und seiner labyrinthischen, kunstvoll verzahnten Struktur aber ist das untergegangene jĂŒdische Prag des 16. und 17. Jahrhunderts mit seinen Winkeln und Gassen, ĂŒberlieferten Sagen, kabbalistischen ErzĂ€hlungen und merkwĂŒrdigen Gestalten. Ziel ist, dessen ebenso farbenfrohe wie tragische Geschichte lebendig werden zu lassen und derart gegen das Vergessen anzuschreiben -- so, wie der Ich-ErzĂ€hler es an Hand des einzig erhaltenen GemĂ€ldes des Malers Brabanzio sinnfĂ€llig macht: "Es stellt einen Mann dar, der ihn einer Hafenkneipe sitzt, und zwei alte hĂ€Ăliche Weiber drĂ€ngen sich an ihn heran, um ihn zu umarmen, und die eine ist, denk' ich mir, die Pestilenz, und die andere, grau wie ein Leichentuch, ist die Vergessenheit". Zwischen den Weltkriegen zĂ€hlte Perutz zu den meistgelesenen Autoren deutscher Sprache: 1949 erinnerte sich niemand mehr an ihn. "Die Zeitungen, die Kritik, die Verleger und die Literaturgeschichte registrieren mich als nicht mehr vorhanden", hielt Perutz resignierend fest -- um dann mit verhaltener Ironie hinzuzufĂŒgen: "Um so sicherer ist meine Auferstehung in 40 Jahren". Jetzt ist es an der Zeit, sich diesen Meister historisch-phantastischen ErzĂ€hlens endgĂŒltig wieder ins GedĂ€chtnis zu rufen. Nachts unter der steinernen BrĂŒcke ist genau das richtige Buch hierzu. --Thomas Köster Quelle:
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